Aktualisierung! Bitte beachten Sie: Das Urteil ist vom OVG NRW aufgehoben worden, vgl. die Besprechung vom 07.03.2012!
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Das Urteil vom 15.12.2010 (Aktenzeichen: 31 K 3904/10.O) betrifft die Klage einer verbeamteten Lehrerin, die im Jahre 2009 an zwei Tagen an Warnstreiks teilgenommen hatte und deshalb ihrer Unterrichtsverpflichtung nicht nachgekommen war.
Dafür war ihr vom Dienstvorgesetzten mit einer Disziplinarverfügung eine Geldbuße in Höhe von 1.500,- Euro auferlegt worden. Die hat das Gericht aufgehoben.
Die Leitsätze
1. Auch nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bleibt es dabei, dass in Deutschland Beamte nicht streiken dürfen. Tun sie dies gleichwohl (hier: Lehrerin), so begehen sie ein Dienstvergehen, das die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach sich zieht.
2. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme (hier: Geldbuße) wegen der Streikteilnahme ist indessen unzulässig, wenn der Beamte nicht zu dem in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK beschriebenen Kernbereich hoheitlicher Staatsverwaltung gehört. In derartigen Fällen ist das Disziplinarverfahren vielmehr einzustellen, da nur so der EMRK Rechnung getragen werden kann (völkerrechtsfreundliche Auslegung).
Die Entscheidungsgründe machen deutlich, dass das Gericht der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem dort verankerten Grundsatz der Vereinigungsfreiheit nicht dadurch gerecht werden zu können glaubt, dass das in Deutschland geltende generelle Streikverbot für Beamte für schlechthin unbeachtlich erklärt wird; vielmehr wird erkannt, dass die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5) trotz einer denkbaren Europarechtswidrigkeit weiterhin Geltung beanspruchen kann.
Der Auffassung des EGMR, dass eine disziplinare Reaktion auf einen Beamtenstreik die EMRK verletzt, hätte aber, so das Gericht, der Dienstvorgesetzte Rechnung tragen können und müssen. Zwar sei er nach § 17 Abs. 1 LDG NRW gehalten gewesen, ein Disziplinarverfahren einzuleiten; denn die Klägerin habe ein Dienstvergehen begangen.Das Disziplinarverfahren habe aber nicht zum Erlass der Disziplinarverfügung führen dürfen, sondern nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW eingestellt werden müssen. Über diese Vorschrift habe nach ihrem Wortlaut der Auffassung des EGMR zwanglos Rechnung getragen werden können: Eine Disziplinarmaßnahme sei „aus sonstigen Gründen“, nämlich wegen Verstoßes gegen die EMRK, unzulässig.
Die Entscheidung erscheint jedenfalls in der Begründung sehr zweifelhaft. Konsequent wäre allein gewesen, bereits ein Dienstvergehen abzulehnen.
Das Urteil könnte, sollte es (wir meinen: wider Erwarten) rechtskräftig werden, weitreichende Folgen haben. Letztlich hebt es jedenfalls für diejenigen Beamten, die nicht im sogenannten engeren hoheitlichen Bereich tätig sind, das Streikverbot aus den Angeln.