In der erbrechtlichen Beratung spielt die Frage, wie man ein behindertes Kind ganz oder teilweise von der Erbfolge ausschließen kann, eine erhebliche Rolle. Jetzt hat sich das OLG Köln (Urteil vom 9.12.2009, Az. 2 U 46/09, veröffentlicht in FamRZ 2010, 838) mit einem solchen Fall befasst.
Sachverhalt
Ein Ehepaar hatte drei Kinder, wovon eines behindert war. Der Sozialhilfeträger erbrachte für dieses Kind erhebliche finanzielle Aufwendungen (ca. 3.000,– pro Monat). Kurz vor dem Tod der Ehefrau errichteten die Eltern ein Testament, in welchem sie sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten. Zu Schlusserben setzten sie die drei Kinder ein. Der Erbanteil des behinderten Kindes wurde dabei in einer Höhe festgelegt, der knapp über dem Pflichtteil lag.
Auch wurde das behinderte Kind zum nicht befreiten Vorerben eingesetzt. Zum Testamentsvollstrecker des behinderten Kindes setzten die Eltern eines der anderen beiden Kinder ein. Außerdem ordneten sie an, dass dieses andere Kind Nacherbe nach dem Versterben des behinderten Kindes würde. Am Tag der Errichtung dieses Testament schlossen die Eltern mit den drei Kindern, also auch dem behinderten Kind, einen Vertrag, in welchem die Kinder auf den Pflichtteil nach dem Tod des ersten Elternteils verzichteten.
Der Sozialhilfeträger hatte den möglichen Pflichtteilsanspruch des behinderten Kindes auf sich übergeleitet und machte diesen Anspruch in einem Prozess geltend.
Ergebnis: Das OLG hielt weder das Testament noch den Pflichtteilsverzichtsvertrag für sittenwidrig und billigte daher die letztwilligen Verfügungen bzw. Regelungen, welche ja letztlich dazu führen, dass der Sozialhilfeträger leer ausgeht.
Wesentliche Gründe
– Hinsichtlich der gewählten testamentarischen Konstruktion beruft sich das OLG auf die Rechtsprechung des BGH (FamRZ 1990, 730 und 1994, 162). Der Testierfreiheit wird der Vorrang eingeräumt. Das Gericht billigt dem Testierenden das Recht ein, durch testamentarische Regelungen zu erreichen, dass der Sozialhilfeträger finanziell beeinträchtigt wird.
– Bemerkenswert ist, dass das Gericht auch den Pflichtteilsverzicht, den das behinderte Kind ausgesprochen bzw. vereinbart hat, billigt. Damit wird dem Sozialhilfeträger ja jeglicher finanzielle Zugriff entzogen; dies jedenfalls hinsichtlich des Nachlasses des zuerst verstorbenen Elternteils. Das Gericht sieht das Problem, dass derartige Verzichtserklärungen in anderer Konstellation strengeren Beurteilungen unterworfen sind. So steht es einem Ehepartner nicht frei, auf Unterhaltsansprüche zu verzichten und dann den Sozialhilfeträger in Anspruch zu nehmen.
Solche Verzichtsverträge werden häufig als sittenwidrig angesehen. Das OLG sieht den Fall allerdings anders und argumentiert, dass bei einem Pflichtteilsverzicht noch nicht klar ist, auf was eigentlich verzichtet wird, da ja der Erbfall noch nicht eingetreten ist und man nicht weiß, ob überhaupt etwas zu holen ist.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Köln eröffnet weitreichende Möglichkeiten, wirksame Behindertentestamente zu verfassen, mit denen erreicht werden kann, dass Vermögen eines Erblassers nicht an Sozialhilfeträger gelangt, die für eine behinderte Person finanzielle Leistungen erbringen.
Sollten Sie Fragen zum Erbrecht haben, wenden Sie sich bitte an den in unserer Praxis für Erbrecht zuständigen Rechtsanwalt Robert Erdrich.