Das Urteil des BGH vom 21.09.2011 (BeckRS 2011, 24839) stellt zwar keine generell neuen Grundsätze auf. Es ist gleichwohl sehr lesenswert, weil es zu einer Reihe von Fragen und Problemen Stellung nimmt, die in der täglichen Praxis häufig vorkommen.
Bemerkenswert ist das Urteil des BGH unter anderem aus folgendem Grund
Der BGH nimmt immer mehr Abstand von pauschalen Regeln, die für eine Vielzahl von Fällen gelten könnten. Wie er schon zur Betreuungsbedürftigkeit von Kindern und dem daraus abgeleiteten Umfang der Berufstätigkeit des betreuenden Elternteils dem Altersphasenmodell (0/8/15) generell eine Absage erteilt, stellt er in Entscheidungen zu anderen Sachfragen ganz stark heraus, dass die Besonderheiten des Einzelfalls maßgeblich sind.
Dies bringt es mit sich, dass die Parteien und ihre Bevollmächtigten noch umfassender die Besonderheiten des Einzelfalls vortragen und gegebenenfalls unter Beweis stellen müssen. Nur so kann verhindert werden, dass die Beteiligten in den Entscheidungsgründen immer wieder vorgehalten bekommen, zu diesem oder jenem Aspekt sei nichts oder zu wenig vorgetragen. Zum Verständnis der Auswirkungen des BGH-Urteils sind Sachverhalt und Entscheidungsgründe wir folgt mitzuteilen.
I. Sachverhalt der BGH-Entscheidung vom 21.9.2011
Die Ehe der Parteien wurde 1972 geschlossen und 2001 rechtskräftig geschieden. Aus ihr sind zwei Kinder 1979 und 1987 geboren hervorgegangen. Die im Jahr 2007 53-jährige Ehefrau ist arbeitslos. Von 1968 bis 1980 arbeitete sie als Textilfachverkäuferin, war danach 25 Jahre nicht berufstätig. Nach der Scheidung absolvierte sie eine Umschulung zur Bürokauffrau. Der Ehemann ist Diplom-Ingenieur und im Zeitpunkt der Entscheidung als IT-Berater selbstständig tätig. Der Ehemann zahlte durchgängig Unterhalt, der während einer Phase der Arbeitslosigkeit reduziert wurde.
Die Ehefrau verlangt nach Beginn der selbstständigen Tätigkeit des Ehemanns höheren Unterhalt; der Ehemann fordert im Wege der Widerklage die Befristung des Unterhalts.
Neben der Frage, ob der Ehefrau fiktive Einkünfte zuzurechnen sind, streiten die Parteien auch über die Höhe der anrechenbaren Einkünfte des Ehemanns. Dieser hat von seinem aktuellen Einkommen Steuernachzahlungen für Zeiträume ab 1998 geleistet. Außerdem ist in 2008 die Steuerschuld für die Einkünfte aus 2007 festgesetzt worden mit sich daraus ergebender Zahlungsverpflichtung. Der Ehemann ist der Auffassung, dass all diese Belastungen einkommensmindernd zu berücksichtigen sind.
AG und OLG (BeckRS 2011, 24870) haben den Unterhalt in unterschiedlicher Höhe festgesetzt; vom OLG wurde der Unterhalt außerdem bis zum 31.12.2009 befristet. Auf Revision der Ehefrau hebt der BGH das Urteil auf und verweist den Rechtsstreit an das OLG zurück.
II. Die wesentlichen Entscheidungsgründe
Zur Frage der Berücksichtigung der Steuernachzahlungen weist der BGH zunächst auf den Grundsatz hin, dass Steuernachzahlungen und Steuererstattungen in dem Jahr zu berücksichtigen sind, in dem sie anfallen. Allerdings sei dieser Grundsatz kein Dogma. Es sei vielmehr Aufgabe der Tatsacheninstanzen, im Einzelfall eine geeignete Methode zur möglichst realitätsgerechten Ermittlung des Nettoeinkommens als Grundlage der Unterhaltsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu finden. Was insoweit die Nachzahlungen ab 1998 betreffe, könnten diese nur berücksichtigt werden, wenn der Ehemann dargelegt hätte, dass die Ehefrau etwa die zusätzliche Liquidität (wegen nicht zeitnaher Zahlung der Steuerverbindlichkeiten) anderweitig zugute gekommen wäre. Hierzu habe der Ehemann aber nichts vorgetragen.
Zur Problematik, ob der Ehefrau fiktive Einkünfte zuzurechnen seien, weist der BGH darauf hin, dass es nicht alleine auf die relativ geringe Zahl von Bewerbungen (46 für 2007 und 43 für 2008) ankomme. Die mangelhafte Arbeitssuche müsse vielmehr für die Arbeitslosigkeit auch ursächlich sein. Davon könne nicht ausgegangen werden, wenn eine reale Beschäftigungschance nicht bestanden habe, wobei die tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes und die persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitsuchenden zu prüfen seien.
Die Anzahl der Bewerbungen sei also nur ein Indiz, nicht aber der alleinige Maßstab, was sich auch daraus ergebe, dass eine große Anzahl von Bewerbungen auch nur vorgeschoben sein könne. Das Alter der Ehefrau (über 50 Jahre) spreche nicht generell gegen realistische Erwerbschancen. Auch insoweit komme es in erster Linie auf die individuellen Verhältnisse an. Hierzu zählten neben dem Alter die lange Berufsabstinenz und gesundheitliche Einschränkungen, die bei der Ehefrau vorlägen.
Soweit die Vorinstanzen der Ehefrau ohne weitere Ausführungen ein fiktives Einkommen von 1100 Euro netto zugerechnet hätten, fehle es an einer Begründung, weswegen genau dieser Betrag richtig sein solle.
Zur vom OLG vorgenommenen Befristung des Unterhaltsanspruchs hält der BGH die Ausführungen zum Vorliegen ehebedingter Nachteile und zum Aspekt der nachehelichen Solidarität nicht für ausreichend. Betreffend die ehebedingten Nachteile sei zu prüfen, ob und inwieweit die Ehefrau auf Grund der langen Berufspause während der Ehe nunmehr schlechtere Erwerbschancen hat.
Außerdem sei bei der anzustellenden Billigkeitsabwägung nicht nur zu prüfen, ob ehebedingte Nachteile vorliegen; zu prüfen sei auch, inwieweit die nacheheliche Solidarität einer Befristung oder Herabsetzung des Unterhalts widerspreche.
Dieser Gesichtspunkt gelte nicht nur für die Unterhaltstatbestände, die wie der Alters- oder Krankheitsunterhalt nach §§ 1571, 1572 BGB bereits ihre Begründung in der nachehelichen Solidarität fänden, sondern auch für den Aufstockungsunterhalt nach § 1573 II BGB. Das OLG habe hierzu nur die Dauer der Ehe, die Kindererziehung und Haushaltsführung und die Dauer der Unterhaltszahlungen in die Prüfung einbezogen. Dies reiche nicht aus.
Eine umfassende Prüfung müsse vielmehr auch berücksichtigen, dass der Ehemann seine während der Ehe durchgeführte berufliche Fortbildung und sein heute erzieltes Einkommen jedenfalls auch der Unterstützung durch die Ehefrau zu verdanken habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Ehefrau während der Arbeitslosigkeit des Ehemanns nur einen reduzierten Unterhalt bezogen habe, womit sich rechtfertige, sie auch länger an einem später verbesserten Einkommen teilhaben zu lassen.
III. Auswirkungen des BGH-Urteils für die Praxis
1. Bewerbungsbemühungen
Die in der Praxis häufig genannte Regel, dass mindestens 20 bis 30 Bewerbungen pro Monat nachgewiesen werden müssen, um ernsthafte Bemühungen um den Erhalt eines Arbeitsplatzes darzutun und nachzuweisen, ist in dieser pauschalen Form nicht richtig. Zum einen weist der BGH darauf hin, dass die Anzahl von Bewerbungen nur Indiz, nicht aber alleiniges Merkmal sein kann, da auch bei nachgewiesenen Bewerbungen in großer Zahl die Arbeitsmotivation nur eine vorgeschobene sein kann.
Eine geringere Anzahl von Bewerbungen kann durchaus ausreichend sein, wenn etwa nur geringe Chancen für einen Wiedereintritt in das Berufsfeld bestehen. (OLG Hamm, BeckRS 2010, 07237, bespr. von Sarres, FamFR 2010, 178). Zum anderen muss dann, wenn der um eine Arbeitsstelle Bemühte nicht genügend Bewerbungen vorweist, noch festgestellt werden, dass die mangelhafte Arbeitssuche für die Arbeitslosigkeit auch ursächlich ist (BGH, NJW 2008, 3635; NJW-RR 1993, 898).
2. Anrechenbares Einkommen
Zu dem Teilaspekt, inwieweit Steuernachzahlungen und/oder Steuererstattungen beim Einkommen zu berücksichtigen sind, enthält das BGH-Urteil ebenfalls interessante Ausführungen. Im entschiedenen Fall war es so, dass der Unterhaltspflichtige von seinem Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht nur die Steuerlast für dieses aktuelle Einkommen abgezogen haben wollte, vielmehr auch Steuernachzahlungen aus lange zurückliegenden Jahren, die er jetzt leistete, einkommensmindernd berücksichtigt wissen wollte. Dem erteilte der BGH eine Absage. Wichtig an der Begründung des BGH ist, dass er die geläufigen Methoden zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens und zum Steuerabzug bei der Einkommensermittlung für Selbstständige nicht als Dogma missverstanden wissen will (BGH, NJW-RR 2004, 1227).
Dies bedeutet, dass es kein absolutes Prinzip gibt, dass nur die Steuerlast, die im betreffenden Jahr tatsächlich gezahlt wird, einkommensmindernd zu berücksichtigen ist. Ebenso wenig gibt es ein absolutes Prinzip, dass die Steuern zu berücksichtigen sind, die für das Einkommen eines bestimmten Jahres geschuldet werden, selbst wenn diese Steuerlast erst im Folgejahr oder noch später festgestellt und gezahlt wird (sog. Für-Prinzip). Wichtig ist auch hier wieder der Einzelfall. Es kommt darauf an, ob die Ehefrau in der Zeit, in der keine Steuern bezahlt wurden, an der hierdurch höheren Liquidität Anteil hatte. Für entsprechenden Vortrag ist nach dem BGH der Unterhaltspflichtigen darlegungspflichtig. Da dieser hierzu nichts vorgetragen hat, berücksichtigt der BGH die Steuerzahlungen für lange zurückliegende Zeiträume nicht.
3. Ehebedingte Nachteile/nacheheliche Solidarität
Der BGH stellt bei der Feststellung ehebedingter Nachteile heraus, dass es auch darauf ankommen könne, ob alleine auf Grund der Berufspause schlechtere Erwerbschancen bestehen. Hier scheint der Senat nicht nur auf verpasste Beförderungen und ähnliches abstellen zu wollen, was in diesem Zusammenhang häufig vorgetragen wird. Er scheint vielmehr darauf hinweisen zu wollen, dass die Gewichtung etwas anders sein könnte, dass nämlich ein Arbeitsuchender alleine durch eine Berufspause während der Ehe generell schlechtere Erwerbschancen hat (BGH, NJW 2010, 1813, s. hierzu auch Graba, FamFR 2010, 219).
Der Unterhalt Begehrende ist hierfür vortrags- und beweispflichtig. Was die nacheheliche Solidarität betrifft, muss man dem Urteil des BGH entnehmen, dass er diese stärker berücksichtigt wissen möchte, als dies bisher vielleicht geschehen ist. Der Gesichtspunkt, dass die berufliche Fortbildung und die Karriere des Pflichtigen durch die Mitarbeit des anderen Ehepartners ermöglicht wurden, der sich um die Kinder und den Haushalt kümmerte, dürfte in Zukunft eine größere Rolle spielen. Der BGH will den Berechtigten jedenfalls in solchen Fällen lange an den hierdurch hervorgerufenen höheren Einkünften teilhaben lassen; dies unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität.
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