Selbstbehalt bei in Strafhaft befindlichem Unterhaltsschuldner und Berücksichtigung von Überbrückungsgeld und Hausgeld nach dem StVollzG BGB §§ 1601, 1610
Während der Dauer des Aufenthalts des Unterhaltsschuldners in einer JVA ist der Selbstbehalt wegen kostenfreien Wohnens um 360,– und wegen kostenfreier Verpflegung um 200,– herabzusetzen. Überbrückungsgeld nach dem StVollzG NRW ist beim Einkommen nicht zu berücksichtigen, Hausgeld dagegen schon, soweit der Unterhaltspflichtige über weitergehende Einnahmen verfügt, mit denen er seinen eigenen Bedarf befriedigen kann.
OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2010 2 UF 55/10
Sachverhalt
Der recht komplizierte Sachverhalt ist für die rechtlich besonders interessierenden Aussagen des Urteils wie folgt zusammenzufassen: Der Unterhaltsschuldner, der aus verschiedenen Beziehungen Vater von 4 Kindern ist, bezog bis Ende Juni 2008 Krankengeld von knapp 1.300,– , danach eine Rente in Höhe von etwas über 700,– , da er als nicht mehr erwerbsfähig angesehen wurde. Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (dieser Missbrauch bezog sich nicht auf das 1999 geborene Kind, um dessen Unterhalt es in dem Verfahren ging) trat er Ende Oktober 2009 die Strafhaft an, in der er sich auch im Zeitpunkt des Urteils noch befand.
In der Haft ging er teilweise einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach und erhielt außerdem Hausgeld. Die Einnahmen aus der Erwerbstätigkeit wurden entsprechend dem Strafvollzugsgesetz NRW nicht ausgezahlt, erwirtschafteten vielmehr in Höhe von 319,97 das Überbrückungsgeld gemäß § 51 Abs. 1 StVollzG NRW, welches nach Beendigung der Strafhaft ausgezahlt wird. Hausgeld nach § 47 StVollzG NRW wurde dagegen ausgezahlt (für die Zeit zwischen November 2009 und Juli 2010 waren es 83,02 ).
Das Kind ist der Auffassung, dass der Vater bis zur Inhaftierung in der Lage gewesen sei, mit einer Nebentätigkeit zusätzliche Einkünfte zu erzielen; im übrigen müssten sämtliche Einkünfte, die er während der Strafhaft erziele, berücksichtigt werden. Der Vater argumentiert, er müsse in der Haft sämtliche Getränke selbst zahlen und sei im Hinblick auf seine Ernährung auf ergänzende Verpflegung angewiesen. Das Gericht hat in 2. Instanz zur Arbeitsfähigkeit ein Gutachten eingeholt, welches eine volle Erwerbsminderung des Vaters feststellte.
Entscheidung
Das OLG Hamm schließt sich bezüglich der Leistungs-fähigkeit des Unterhaltsschuldners zur Wahrnehmung einer Nebentätigkeit dem Ergebnis des eingeholten Gutachtens an und rechnet dem Unterhaltsschuldner keine fiktiven Einkünfte zu. Die Auswirkungen der angetretenen Strafhaft auf die Unterhaltsverpflichtung sieht das Gericht einmal in der Reduzierung des Selbstbehalts, der wegen kostenfreien Wohnens um 360,– und wegen kostenfreier Verpflegung um 200,– zu kürzen sei. Das Gericht geht allerdings nicht von einem Selbstbehalt von nur 770,– aus, legt vielmehr einen Betrag von 835,– zugrunde.
Begründet wird dies damit, dass das berufliche Engagement trotz der bestehenden Erkrankung hinreichend gewürdigt werden soll, weswegen ein Betrag zwischen 770,– und 900,– für richtig gehalten wird. Mit diesem erhöhten Selbstbehalt soll auch den zusätzlichen Ausgaben für Getränke und Ernährung Rechnung getragen sein. Soweit der Unterhaltsschuldner Haftgeld nach § 47 StVollzG NRW erhalte, sei dies im entschiedenen Fall ausnahmsweise als Einkommen zu berücksichtigen. Grundsätzlich sei dieses Hausgeld einem Häftling auch bei gesteigerter Unterhaltsverpflichtung nach § 1603 Abs. 2 BGB zu belassen.
Da der Unterhaltspflichtige aber über Renteneinkünfte verfüge, sei dies vorliegend nicht der Fall. Das aus den Bezügen eines Häftlings gebildete Überbrückungsgeld sei als Einkommen nicht zu berücksichtigen, da es erst bei der Entlassung ausge-zahlt werde, um den notwendigen Lebensunterhalt des Inhaftierten und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten 4 Wochen nach seiner Entlassung zu sichern. Da die dem Schuldner zur Last gelegte Straftat (sexueller Missbrauch von Kindern) sich weder auf die Unterhaltsverpflichtung dem Unterhalt begehrenden Kind gegenüber beziehe noch auf einer unterhaltsbezogenen Mutwilligkeit beruhe, sei sie unterhaltsrechtlich unbeachtlich.
Praxishinweis
Das Urteil des OLG behandelt das eher selten vorkommende Problem, wie Einkünfte eines Inhaftierten zu bewerten bzw. bei der Un-terhaltsberechnung zu berücksichtigen sind. Mit den Begriffen Haftgeld und Überbrückungsgeld weiß man unterhaltsrechtlich nach dem Urteil des OLG Hamm nun umzugehen.
Nicht unproblematisch erscheint die Heraufsetzung des Selbstbehalts auf 835,– , die mit der Würdigung des beruflichen Engagements begründet wird. Berücksich-tigt man, dass in 9 Monaten nur 83,02 Hausgeld verdient wurden, erscheint die Heraufsetzung des Selbstbehalts um 65,– monatlich (von 770,– auf 835,– ) übersetzt, selbst wenn man noch das mit 319,97 errechnete Überbrückungsgeld hinzu rechnet. Immerhin geht es um den Unterhalt für ein besonders schutzbedürftiges minderjähriges Kind.
Rechtsanwalt Robert Erdrich, Bonn
Autor: RA Robert Erdrich