Neuregelung zum Kindergeld/Kindesunterhalt

Die Neufassung der Kindergeldverrechnung nach § 1612b V BGB neu

Der Gesetzgeber hat mit Wirkung ab dem 01.01.2001 durch gesetzliche Neuregelung den Versuch unternommen, nach Möglichkeit zugunsten eines jeden unterhaltsberechtigten Kindes einen bestimmten Mindestbetrag an Barunterhalt sicherzustellen.

Dieses Existenzminimum, das 135% des Regelbetrages beträgt und damit der Einkommensstufe 6 der Düsseldorfer Tabelle Stand 01.01.2000 entspricht, soll dadurch erreicht werden, dass das Kindergeld in bestimmten Fällen entgegen der bisherigen Übung nicht in der Regel hälftig zwischen den Eltern aufgeteilt wird. Dem Elternteil, der diesen Mindestbetrag nicht sicherstellen kann, soll so lange kein Kindergeld zu gute kommen, wie das Existenzminimum (135% des Regelbetrages) nicht erreicht wird.

1. Beispiel: Der das 13-jährige Kind nicht betreuende und daher barunterhaltspflichtige Elternteil verfügt über ein Nettoeinkommen von 2.200,00 DM. Bisher hatte er (da nur einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig und daher zwei Einkommensstufen höher einzustufen)582,00 DM abzüglich hälftigem Kindergeld von 135,00 DM, d.h. 447,00 DM pro Monat zu zahlen. Nach der gesetzlichen Neuregelung beträgt das Existenzminimum dieses Kindes 689,00 DM abzüglich hälftigem Kindergeld von 135,00 DM, d.h. 554,00 DM. Dieser Betrag ist jetzt vom unterhaltspflichtigen Elternteil zu zahlen. Dies bedeutet, dass ihm vom Kindergeld nur 28,00 DM verbleiben, da er 107,00 DM pro Monat mehr zahlen muss.

2. Beispiel: Der das 7-jährige Kind nicht betreuende und daher barunterhaltspflichtige Elternteil schuldet Unterhalt nach der 1. Einkommensstufe. Bisher zahlte er 431,00 DM abzüglich hälftigem Kindergeld von 135,00 DM, d.h. 296,00 DM. Nach der neuen gesetzlichen Regelung beträgt das Existenzminimum eines solchen Kindes 447,00 DM (Bedarfsbetrag nach Einkommensstufe 6 und Altersstufe 2 sind 582,00 DM abzüglich hälftigem Kindergeld von 135,00 DM entspricht 447,00 DM). Dies bedeutet, dass ab sofort 431,00 DM (statt 296,00 DM) zu zahlen sind, Kindergeld dem zahlungspflichtigen Elternteil also überhaupt nicht zu gute kommt.

Die Zweckrichtung, die der Gesetzgeber mit seiner Neuregelung verfolgt, ist klar erkennbar und vom Grundsatz her auch zu befürworten. Allerdings greift der Gesetzgeber in von ihm wahrscheinlich auch nicht abgesehener Weite in das komplexe und komplizierte System der Unterhaltsberechnungen ein; er mag einer Problemlösung näher zu kommen (finanzielle Ausstattung minder jähriger Kinder), schafft auf der anderen Seite aber eine Vielzahl neuer Probleme.

Die Auswirkungen der neuen gesetzlichen Regelung sind in folgender Hinsicht klar und unproblematisch:

  • Fordert ein Kind Unterhalt in Höhe des Existenzminimums (135% des Regelbetrages), muss es die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht vortragen und beweisen (wohl aber seine Unterhaltsbedürftigkeit). Es ist vielmehr Sache des Schuldners, seine fehlende Leistungsfähigkeit darzutun (etwa mit dem Einwand, dass bei Zahlung des Existenzminimums der eigene Selbstbehalt nicht gewahrt ist). Bisher war es bekanntlich so, dass ein minderjähriges Kind nur dann zur Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nichts vorzutragen hatte, wenn Unterhalt nach der ersten Einkommensstufe (Regelbetrag) verlangt wurde.
  • Versteht man das Existenzminimum als Mindestbedarf, ergeben sich keine Probleme, wenn nur gleichrangige Kinder Unterhalt geltend machen. Für alle derartigen Unterhaltsgläubiger ist bei den Unterhaltsberechnungen das neue Existenzminimum zu beachten, so dass es keine Ungleichbehandlungen geben kann. Ist allerdings neben den Kindern z.B. auch der Ehepartner unterhaltsberechtigt, können sich Probleme ergeben, wenn zugunsten der Kinder unabhängig vom Einkommen des Unterhaltsschuldners Mindestbedarfsbeträge berücksichtigt werden, zugunsten anderer gleichrangig Unterhaltsberechtigter (dem Ehepartner) dagegen nicht.

Probleme kommen dagegen in all den Fällen auf, in denen bisher gleichrangige unterhaltsberechtigte Personen vorhanden sind, die jetzt deswegen ungleich behandelt werden, weil zugunsten einer Gruppe (Kinder) Mindestbeträge berücksichtigt werden, zugunsten anderer Personen (Ehepartner) dagegen nicht. Besonders im Mangelfall werden die Berechnungen anders auszusehen haben als bisher.

Beispiel

Einkommen des Ehemannes M 4.010,00 DM. Wenn er 2 Kindern der 3. Alterstufe und der Ehefrau gegenüber unterhaltspflichtig ist, wurden bisher zugunsten der beiden Kinder je 546,00 DM berücksichtigt (der an sich höhere Unterhaltsbetrag war nicht zu berücksichtigen, da ansonsten der Bedarfskontrollbetrag des Düsseldorfer Tabelle nicht gewahrt wäre). Es verbleiben vor der Berechnung des Ehegattenunterhalts 2.918,00 DM (4.010,00 DM – 546,00 DM – 546,00 DM). 3/7 hiervon sind 1.251,00 DM. Nach alter Berechnung zieht M vom Kindesunterhalt je 135,00 DM hälftiges Kindergeld ab, so dass er pro Kind 411,00 DM, für beide Kinder 822,00 DM und zusammen mit dem Ehegattenunterhalt 2.073,00 DM zahlt. Nach neuem Recht findet keine Kindergeldanrechnung statt, so dass 270,00 DM mehr zu zahlen sind, mithin 2.343,00 DM.

Sieht man das Existenzminimum als Mindestbedarf an, kommt es auf den Bedarfskontrollbetrag nicht an. Dann sind für die Kinder je 689,00 DM zu berücksichtigen, so dass der Ehegattenunterhalt 1.128,00 DM beträgt (4.010,00 DM – 689,00 DM – 689,00 DM = 2.632,00 DM; 3/7 hiervon sind 1.128,00 DM). Das hälftige Kindergeld ist auf den Unterhalt anzurechnen, so dass M 554,00 DM pro Kind und 1.128,00 DM Ehegattenunterhalt, insgesamt daher 2.236,00 DM.

Die Beispielsberechnungen zeigen auf, dass M nach neuem Recht deutlich mehr zahlen muss, als nach altem Recht. Ebenso zeigt sich, dass es maßgebliche Unterschiede auch bei den Berechnungsbeispielen nach neuem Recht gibt, was davon abhängt, ob man das vom Gesetzgeber festgelegte Existenzminimum als Mindestbedarf ansieht oder nicht.

Da der Gesetzgeber die gerade geschilderte Problematik offensichtlich nicht gesehen hat, ist die Frage, wie § 1612 b V BGB auszulegen ist. Gegen eine Gleichstellung von Existenzminimum und Mindestbedarf spricht einmal, dass von der ersten bis zur sechsten Einkommensgruppe stets der gleiche Kindesunterhalt zu zahlen wäre, was mit der in § 1610 II BGB enthaltenen Regelung, dass sich die Höhe des Kindesunterhalts nach der Leistungsfähigkeit des Schuldners richtet, nicht in Einklang zu bringen ist; die Leistungsfähigkeit eines Elternteils, das 2.400,00 DM netto pro Monat verdient, unterscheidet sich sicherlich von einem 3.700,00 DM netto verdienenden Elternteil.

Auch erscheint es nicht gerechtfertigt, gleichrangige Unterhaltsgläubiger unterschiedlich zu behandeln, indem Kinder dadurch gegenüber Ehegatten bevorzugt werden, weil zugunsten der Kinder Mindestbeträge berücksichtigt werden, zugunsten des Ehegatten aber nicht. Von Gleichrangigkeit könnte dann keine Rede mehr sein. Richtigerweise verdienen minderjährige Kinder zwar erhöhten Schutz; dieser wird ihnen aber auch schon dadurch zu Teil, dass man die Kindergeldanrechnung ganz oder teilweise unterlässt, wenn ein bestimmter Unterhaltsbetrag nicht gezahlt werden kann. Problematisch an dieser Argumentation ist allerdings sicherlich, dass das dann ganz oder teilweise bei dem betreuenden Elternteil verbleibende Kindergeld nach dem Verständnis des Gesetzgebers nicht dem Kindesunterhalt zuzurechnen ist.

Auch hieran zeigt sich, dass der Gesetzgeber im neuen § 1612 b V BGB nicht sauber und zudem unsystematisch gehandelt hat. Er hat nur darauf geachtet, dass nach Trennung dem Familienteil, bei dem sich die Kinder befinden, faktisch mehr Geld verbleibt bzw. zukommt. Wie dieses Ziel rechtlich korrekt erreicht werden kann, war offenkundig zweitrangig, was die gerade diskutierten Probleme schafft.

Autor: RA Robert Erdrich