Während sich in der Regel nur Amts- oder Landgerichte damit befassen müssen, Entscheidungen in Nachbarrechtsangelegenheiten zu fällen, hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) eine weitreichende Entscheidung getroffen (Urteil vom 28.11.2003, Az V ZR 99/03, veröffentlicht in NJW 2004/603). Zu entscheiden war der Fall, dass auf Nachbars Grundstück etwa 1 m von der Grenze entfernt ein Kirschbaum stand, dessen Wurzeln auf das andere Grundstück hinüber wuchsen und eine Betonplatte anhoben bzw. beschädigten.
Der BGH stellte in seiner Entscheidung klar, dass der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks ein Wahlrecht habe. Einmal könne er vom Nachbarn verlangen, dass dieser die Wurzeln beseitige und den Schaden behebe; er könne aber auch zur Selbsthilfe greifen, indem er die Wurzeln selbst beseitigt oder beseitigen lässt und den Schaden an der Betonplatte behebt oder beheben lässt. Dann kann er die damit einhergehenden Aufwendungen vom Nachbarn ersetzt verlangen.
Nach Auffassung des BGH stehen also der Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 BGB und der Selbsthilfeanspruch des § 910 I 1 BGB gleichrangig nebeneinander. Es ergeben sich noch 2 weitere wichtige Erkenntnisse aus dem genannten Urteil: Einmal führt der BGH aus, dass es für die Verantwortung des Nachbarn nicht darauf ankomme, ob er den Baum gepflanzt habe, dessen Wurzeln auf das Nachbargrundstück hinüberwachsen. Ausreichend für seine Verantwortung sei, dass der Baum auf seinem Grundstück stehe.
Des Weiteren weist der BGH allerdings darauf hin, dass Voraussetzung für den Beseitigungs- oder den Selbsthilfeanspruch sei, dass der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks nicht verpflichtet sei, das Hinüberwachsen der Wurzeln zu dulden (§ 1004 II BGB). Eine solche Duldungspflicht bestehe, wenn die hinüberwachsenden Baumwurzeln die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. Alleine das Hinüberwachsen von Wurzeln auf das Grundstück reicht also nicht aus, um einen Anspruch zu haben, diese beseitigen zu lassen.
Autor: RA Robert Erdrich