Betreuungsverfahren: Gebotenheit der Bestellung eines Verfahrenspflegers

FamFG §§ 276 I, II, 280

  1. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. August 2013 – XII ZB 223/13 – FamRZ 2013, 1648 mwN). (amtlicher Leitsatz)
  2. Das in einem Betreuungsverfahren einzuholende Sachverständigengutachten ist den Beteiligten, namentlich dem Betroffenen, bekanntzugeben. Nur in Ausnahmefällen kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen abgesehen werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. August 2010 – XII ZB 138/10 – BtPrax 2010, 278). (amtlicher Leitsatz)

BGH, Beschluss vom 15.1.2014 – XII ZB 289/13

Sachverhalt

Die Betroffene leidet unter anderem an einer leichtgradigen Demenz. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht für die Betroffene einen Berufsbetreuer, nicht aber gleichzeitig einen Verfahrenspfleger bestellt. Der Berufsbetreuer erhielt einen umfassenden Aufgabenkreis (die Sorge für die Gesundheit, die Aufenthaltsbestimmung ohne die Entscheidung über die geschlossene Unterbringung, alle Vermögensangelegenheiten, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Kranken- und Pflegekassen sowie gegenüber der Heimverwaltung, alle Wohnungsangelegenheiten sowie die Kontrolle der ein- und ausgehenden Post, soweit sie nicht offensichtlich den persönlichen Bereich betrifft).

Zudem hat das Amtsgericht den Zeitpunkt, bis zu dem die Betreuung zu überprüfen ist, auf den 2. Juli 2019 festgesetzt. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2., Sohn der Betroffenen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde rügt er im wesentlichen die Bestellung des Berufsbetreuers, da er selbst als Betreuer eingesetzt werden möchte. Außerdem rügt er die unterlassene Bestellung eines Verfahrenspflegers. Auch rügt er die Unzulänglichkeit des eingeholten Sachverständigengutachtens; dies insbesondere wegen der Ausschöpfung der Frist zur Überprüfung der Betreuung.

Entscheidung

Der BGH hebt die Entscheidung des LG auf und verweist die Sache an das Beschwerdegericht zurück. Der BGH ist der Auffassung, dass die vom Amtsgericht nicht vorgenommene Bestellung eines Verfahrenspflegers durch das Beschwerdegericht nicht oder nicht umfassend genug überprüft wurde.

Wenn eine Betreuung sich auf Ausgabenkreise erstre-cke, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen umfasse, sei es gemäß § 276 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig geboten, einen Verfahrenspfleger für die Betroffene zu bestellen. Dies gelte selbst dann, wenn der Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Be-reiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben seien, soweit die verbliebenen Befugnisse der Betroffenen in ihrer konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum belassen. So liege der Fall angesichts der vielen Aufgaben, die dem Berufsbetreuer übertragen worden seien, hier. Wenn trotz dieser umfassenden Befugnisse des Betreuers kein Verfahrenspfleger bestellt werde, sei die Nichtbestellung eines Verfahrenspflegers nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG zu begründen. Das Beschwerdegericht habe bisher aber nicht überprüft, ob die dem Amtsgericht obliegende Entscheidung, keinen Verfahrenspfleger zu bestellen, ermessensfehlerfrei getroffen worden sei.

Zu den übrigen Einwendungen der Rechtsbeschwerde gibt der BGH nur Hinweise, da alleine schon die Umstände im Zusammenhang mit der Nichtbestellung eines Verfahrenspflegers zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache führen.

Praxishinweis

Mit der eher unscheinbaren Entscheidung des BGH wird die wichtige Frage der Beteiligungsrechte einer der Betreuung unterliegenden Person in den Fokus gerückt. Wenn nämlich der gesundheitliche Zustand eines Menschen eine umfassende Betreuung notwendig macht, wodurch dieser Mensch bisher ihm zustehende Persönlichkeitsrechte verliert, fragt sich, wer für diesen Menschen dessen Rechte wahrnimmt, wenn es darum geht, ob eine Betreuung eingerichtet wird oder nicht. Mit zutreffender Begründung weist der BGH darauf hin, dass das FamFG in diesen Fällen grundsätzlich die Bestellung eines Verfahrenspflegers vorsieht; soll kein Verfahrenspfleger bestellt werden, muss dies begründet werden.
Fachanwalt für Familienrecht in Bonn Robert Erdrich