OLG Hamm: Anforderungen an eine ausreichende Berufungsbegründung

§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO

Will ein Berufungsführer den im erstinstanzlichen Rechtszug festgestellten Sachverhalt, an den das Berufungsgericht grundsätzlich gebunden ist, angreifen, muss die Berufung eine Begründung  dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.
(Leitsatz des Verfassers)
OLG Hamm, Beschluss vom 26.06.2014 – 4 UF 43/14

Sachverhalt

Die Ehe der Parteien wurde nach altem Recht durch Verbundurteil des Amtsgerichts am 6.2.2014 geschieden, wobei die Eheleute seit Februar 1997 getrennt lebten und der Scheidungsantrag am 23.12.2005 zugestellt wurde. Außerdem wurde der Ehemann verurteilt, an die Ehefrau einen Zugewinnausgleich von 140.589,51 € nebst Zinsen zu zahlen. Beantragt hatten die Ehefrau 173.388,26 €, der Ehemann die Abweisung. Beide Eheleute legten Berufung ein.

Mit der Berufung wehrt sich der Ehemann gegen mehrere Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts. So hält er die vom Amtsgericht festgestellte Höhe des Wertes einer von ihm betriebenen Zahnarztpraxis mit den Worten „deutlich übersetzt und in keiner Weise realistisch“ für falsch und meint zudem, der Zugewinnausgleich sei wegen der langen Trennung aus Billigkeitsgründen gem. § 1587 c BGB zu modifizieren. Außerdem ist er der Auffassung, dass zu Unrecht zwei von ihm der Praxis gewährte Darlehen nicht berücksichtigt wurden. Ferner sei sein Vortrag, er habe der Ehefrau bereits 130.000,– € gezahlt, zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Schließlich habe das Familiengericht auch nicht die Rente der Ehefrau berücksichtigt, obwohl hierzu Auskünfte vorgelegen hätten.

Die Ehefrau begründet ihre Berufung damit, beim Ehemann sei ein zu niedriger Kapitalwert des Versorgungswerks berücksichtigt worden.

Entscheidung

Das OLG entscheidet über die wechselseitig gestellten Prozesskostenhilfeanträge und weist diese zurück mit dem Hinweis, dass beabsichtigt sei, auch die Berufungen gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

In der Begründung wird ausgeführt, dass das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden sei (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Werde der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt angegriffen, müsse der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO), die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geböten. Diesen Anforderungen genügten die Berufungsbegründung beider Eheleute nicht. Soweit der Ehemann den vom Amtsgericht ermittelten Wert der Zahnarztpraxis angreife, wäre es erforderlich gewesen, die Schätzung des Gerichts auf Grundlage des von der Ärztekammer ermittelten Wertes konkret anzugreifen; die Annahme des Amtsgerichts nur als „in keiner Weise realistisch“ zu bezeichnen, reiche nicht aus.

Bezüglich der vom Amtsgericht nicht berücksichtigten privaten Darlehen habe der Ehemann auch im Berufungsverfahren die tatsächliche Auszahlung der Beträge nicht hinreichend dargelegt. Auch der Rüge der Nichtberücksichtigung gezahlter 130.000,– € könne nicht gefolgt werden, da konkrete Angriffe gegen die Nichtberücksichtigung nicht erhoben worden seien, auch nicht zur Zweifelsregel i.S.v. § 1380 Abs. 1 S.2 BGB.

Soweit überhaupt Ausführungen hierzu gemacht würden, seien diese widersprüchlich. Der Einwand der unbilligen Härte (der sich nach § 1381 BGB und nicht nach § 1587 c BGB richte) greife nicht. Alleine eine lange Trennungszeit reiche nicht aus; es müssten vielmehr weitere Gründe hinzutreten, aus denen sich ein Leistungsverweigerungsrecht ergeben könnte; solche seien nicht vorgetragen. Auch müsse sich der Ehemann hierzu fragen lassen, warum er nicht den vorzeitigen Zugewinnausgleich betrieben habe. Was schließlich der Ehemann damit meine, das Amtsgericht habe das Einkommen bzw. die Rente der Ehefrau nicht berücksichtigt, sei unklar.

Es komme beim Zugewinn nicht auf die Einkünfte, sondern den Wert des Vermögens zum Stichtag an; hierzu trage der Ehemann aber nichts vor.

Auch die Berufungsbegründung der Ehefrau genüge nicht gesetzlichen Anforderungen, da sie zum genauen stichtagsbezogenen Wert (zu dem auch Zinsen gehören könnten) der erworbenen und offensichtlich schon ausgezahlten Versorgungsanwartschaften, nichts vortrage.

Praxishinweis

Das Gesetz legt in § 520 Abs. 3 ZPO in eigentlich klarer Sprache dar, welche Anforderungen eine Berufungsbegründung erfüllen muss. Trotzdem sind die Fälle, in denen die Anforderungen nicht als erfüllt angesehen werden, häufig; die Urteile und die Kommentare, die hierzu existieren, füllen ganze Bibliotheken.

Man wird als Rechtsmittelführer jedenfalls gut daran tun, sich bei Fertigung der Berufungsbegründung strikt an den Gesetzesvorgaben des § 520 Abs. 3 ZPO entlang zu bewegen. Gerade wenn man schon in 1. Instanz tätig war, besteht die Gefahr, dass man die Schwerpunkte in der Berufungsbegründung zu sehr an dem ausrichtet, worauf man schon in erster Instanz abgestellt hat. Dies wird in vielen Fällen zu kurz gegriffen sein. Eine neue Sicht der Dinge – auch und besonders unter Einbeziehung der Urteilsgründe 1. Instanz – muss erfolgen.

Fachanwalt für Familienrecht Robert Erdrich, Bonn:  Besprechung der Entscheidung des OLG Hamm, veröffentlicht in Heft 20/2014 der NZFam (Neuen Zeitschrift für Familienrecht)